Wenn es nach dem Verein der Wolkenfreunde geht, dann gehört das Beobachten der Ansammlungen von winzigen Wassertröpfchen am Himmel zu einer der besten Beschäftigungen überhaupt. Der Akt des Wolkenguckens ist demokratisch, philosophisch, vollkommen unnütz und deswegen unerhört rebellisch. So kann man in etwa die Ansichten der Cloud Appreciation Society, einer internationalen Vereinigung mit Sitz in Südengland, zusammenfassen.
Seit 2004 gibt es die Gesellschaft, in der Meteorologen genauso Mitglied sind wie Künstlerinnen, Schriftstellerinnen und Enthusiasten. Der Gründer, der englische Journalist und Autor Gavin Pretor-Pinney, hat die Cloud Appreciation Society während einer Lesung ausgerufen, Anstecker hergestellt, und sah bald Mitgliedschafts-Anträge aus vielen Ländern bei sich eintrudeln. Die Wolkengucker schicken Fotos von besonders beeindruckenden Formationen oder auch Gemälde und Gedichte ein. Gesammelt werden sie auf der Homepage des Vereins. Sie ist ein unterhaltsames Magazin – man findet dort auch Videos von philosophischen Reden des Gründers oder Informationen über ein wolkenbezogenes Naturschutzprojekt im Amazonas-Gebiet.
Der Cloudspotter’s Guide
Den besten Einstieg in die Kunst des Wolkenschauens bietet aber das Buch, das Gavin Pretor-Pinney genau zu diesem Zweck geschrieben hat. Der „Cloudspotter’s Guide“ erklärt zuerst, Wolken seien die Poesie der Natur und gleichzeitig eine „sehr egalitäre Ausstellung“, weil jeder eine fantastische Aussicht auf sie habe. Es folgt eine Tabelle zur Klassifikation der verschiedenen Wolken-Typen von Altocumulus bis Nimbostratus. „Wenn Sie dieses ganze Latein zum Durchdrehen bringt, machen Sie sich nichts draus, mich macht es auch wahnsinnig“, schreibt Pretor-Pinney dazu.
Um das Ganze etwas vergnüglicher zu gestalten, erklärt er die Erscheinungsformen der Himmels-Schönheiten so, dass auch ein Nicht-Meteorologe es verstehen wird. Den Wolken-Typ Cumulus beschreibt er als „die Baumwoll-Puschel, die sich an einem sonnigen Tag bilden“, den Stratus als „niedrige, dunstige Bettdecke“. Wer schon ein wenig im Wolkenschauen geübt ist, wird seine Lieblinge auf den zahlreichen Fotos wiedererkennen. Dieses niedliche kugelrunde Exemplar, das unten plattgedrückt ist – die Bilderbuchwolke schlechthin – heißt Cumulus mediocris. Na, wenn das kein herrliches unnützes Wissen ist.
Müßiggang als Systemkritik
Und genau darum geht es: Pretor-Pinney will weder eine Schar von Nachwuchs-Wetterwissenschaftlerinnen heranziehen noch hat er den Anspruch, meteorologischen Büchern Konkurrenz zu machen. Stattdessen will er eine Enthusiasten- und Schöngeist-Perspektive auf das Thema eröffnen. Das schließt zwar die Erläuterung der naturwissenschaftlichen Grundlagen mit ein, zu ernst nimmt sich der Autor dabei aber nie. So erläutert eine Infografik, wie sich eine Wolke aus dem verdampften Stirnschweiß eines Joggers bilden kann. Oder es heißt unter einem von Kinderhand gezeichnetem Bild: „Weil sie die besten Wolkenschauer der Welt sind, verpassen Sechsjährige selten die Gelegenheit, ein paar Cumulus in ihre Zeichnungen zu klatschen.“
Dennoch: Wer neugierig ist, erfährt in diesem Buch alles Nötige, um sich Wolkensammler nennen zu können. Und es gibt sehr wohl eine dahinterliegende, weitere Perspektive: Pretor-Pinney, der Philosophie, Physik und Psychologie studierte und sich auf der Kunsthochschule zum freien Grafikdesigner ausbilden ließ, gibt zusammen mit einem Kollegen seit den 90er-Jahren das Magazin „The Idler“ (der Müßiggänger) heraus. Es widmet sich ausschließlich Tätigkeiten, die dem kapitalistischen Geschwindigkeits-Diktat zuwiderlaufen: Brotbacken, Nickerchen, dem Blätterfangen im Herbst oder dem Ukulelespielen. All das kommt vergnüglich daher, ist aber durchaus als Gesellschaftskritik zu verstehen. Auch das Wolkenschauen hat Pretor-Pinney in Interviews schon als einen Akt der friedlichen Rebellion gegen den allgegenwärtigen Aktionismus bezeichnet. Durchaus passend also, inmitten der Corona-Krise innezuhalten und dem „unbeschwerten, ziellosen und unendlich lebensbejahenden Zeitvertreib des Wolkenbeobachtens“ zu frönen, wie der Autor in seinem köstlichen Stil im Vorwort des „Cloudspotter’s Guide“ schreibt.
Dieser Text ist im April 2020 im Kultur-Ressort des DONAUKURIER erschienen.
Foto: Katrin Poese