Starke Rhythmen und eine Verschmelzung aus Musik, Tanz, und Wettkampf: Diese Kunstform kann man beim Flamenco Festival in Ingolstadt erleben: Die oberbayerische Stadt zwischen München und Nürnberg zeigt mit dem Programm nach 2019 zum zweiten Mal, welches Erlebnis diese spanische Tradition bieten kann.
Beim Flamenco, das zeigte der Eröffnungsabend Abend 2020, muss man als Neuling bereit sein, einige Gewohnheiten rund um den Konzertbesuch loszulassen. Wenn man es tut, eröffnet sich ein besonderer Genuss, dessen emotionale Kraft sich aufs Publikum überträgt.
- Strikte Zuständigkeiten sucht man in einem Flamenco-Ensemble vergeblich. Wer gerade die Hände oder einen Fuß frei hat, wird mit Stampfen und Klatschen zur Percussion beitragen – und wer sagt, dass eine Gitarre nur ein Harmonie- oder Melodie-Instrument ist? Wie der hervorragende Diego Rocha zeigte, eignet sie sich mit abgedämpften Saiten auch für Rhythmus. Pianist und Percussionist sein, das geht ebenfalls in flexiblem Wechsel, wie David Bermudez bewies.
- Würde und Ernsthaftigkeit, das lernt man schnell, haben nichts mit Steifheit zu tun. Zwar saß der Sänger David el Gamba hoch aufgerichtet auf seiner Stuhlkante und aus den Stimmungen in der Musik sprachen Stolz, Schmerz oder die Auseinandersetzung mit großen Fragen des Lebens. Und dennoch konnte man bei den vier Künstlern immer wieder Verspieltheit und verschmitzten Wettbewerb beobachten – zum Beispiel in einem Duell zwischen dem Percussionisten und dem Tänzer Manuel Reina, der mit seinen Hacken komplexe Rhythmen klapperte. Oder wenn nach einer eindrucksvollen Tanzeinlage der Sänger el Gamba wieder einsetzte und Tänzer Reina als Reaktion mit einer engergieladenen Drehung und Stampfen auf ihn zuwirbelte.
- Flamenco ist ein Spiel mit Spannung, zeitweiser Entspannung und der sofort folgenden Entladung noch größerer Energien, wie man gut verfolgen konnte. Doch trotz all dieser Kraft konnte man sämtliche Klischees von Männlichkeit für den Abend beiseitelassen. Denn auch wenn Tänzer Manuel Reina mit seinem kunstvollen Steppen die Bühne zum Beben brachte und sich auf die Schenkel schlug, so konnte er doch genauso zu einer langsamen Klavierbegleitung graziös die Arme heben und und anmutig das Bein mit dem hohen Absatz zum nächsten Schritt ausstrecken. In seiner intensiven Performance begann man zu verstehen, wie ausgeliefert ein Solo-Tänzer so alleine vor den Musikern eigentlich ist – und wie ihm die großen Gesten dabei helfen, damit umzugehen. Von Reina konnte man lernen, wie viel Spannung ein Mensch allein beim Stehen ausstrahlen kann, nur aufgelockert durch ein Ein- und Ausdrehen des Handgelenks – bevor er ungestüm sein Sakko packte und sich mit der nächsten Drehung wie eine Zentrifuge die Schweißtropfen von den Haarspitzen schleuderte.
4. Womit man bei der vierten Gewohnheit wäre, die man bei einem Flamenco-Abend vergessen kann: Andächtiges Lauschen ist bei einem solchen Auftritt nicht gefragt. Wie auch, wenn die Energie sich wie Wellen im Auditorium zu brechen scheint. Mit der Zeit wurden die Zuschauerinnen und Zuschauer mit ermutigenden Rufen und Zwischenklatschen immer mutiger – und der Schlussapplaus klang mit seinem großen Jubel schließlich nach deutlich mehr Menschen, als tatsächlich da waren.
Dieser Text ist im September 2020 im Kultur-Ressort des DONAUKURIER erschienen.
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